Alles neu! Wie ich mit 31 mein Leben auf den Kopf stellte

Anfang 30, unbefristetr Arbeitsvertrag, glücklich verheiratet- und jetzt Kinder? Nee! Ich bin in eine WG nach Hamburg gezogen und seit Neuestem wieder Praktikantin. Alles auf Anfang!

In Hamburg weht ein kühler Wind, als ich durchs Portugiesenviertel schlendere. Vom nahen Hafen ertönt ein Nebelhorn. Hier werde ich nun wohnen und Praktikum bei einer Zeitschrift machen- dass es wirklich geklappt hat, kommt mir immer noch unglaublich vor. Bis vor wenigen Wochen war ich nämlich noch in Frankfurt und habe was komplett Anderes gemacht!

Ich habe Soziale Arbeit studiert und danach in einer Wohngruppe für männliche Jugendliche mit Fluchthintergrund gearbeitet- ich kann nicht sagen, dass mir das keinen Spaß gemacht hätte. Klar, man kommt mit krassen, bewegenden Schicksalen in Berührung – und der Balanceakt zwischen Mitfühlen und Abgrenzen ließ mich mehr als einmal schwanken auf dem beruflichen Drahtseil. Doch das ist nicht der Grund dafür, dass ich nach fast 5 Jahren die Sozialarbeiterei an den Nagel gehängt habe.

Was machst du da eigentlich? Irgendwie bist das nicht du.

Ich hatte von Anfang an Fremdel-Momente. Manchmal schaute ich wie von außen auf mich und meine Arbeit und dachte: was machst du da eigentlich? Irgendwie bist das nicht du. Anfangs schob ich es auf meine mangelnde Erfahrung, auf meine Unsicherheit. Erstmal reinfinden, routinierter werden, so dachte ich mir und machte weiter. Auf keinen Fall wollte ich zu früh „aufgeben“. In der Vergangenheit neigte ich nämlich dazu, ungeduldig zu sein und eher früher als später von einem eingeschlagenen Weg wieder abzuweichen, wenn es nicht lief. Was mir die Arbeit extrem versüßte, waren meine großartigen Kollegen. Ich hatte diese netten, lustigen und wahnsinnig kompetenten Menschen in Windeseile ins Herz geschlossen. Und grundsätzlich mochte ich die Sinnhaftigkeit meiner Arbeit. Diese Momente, wo man das Gefühl hat: was ich tue ist wichtig, ich kann das Leben eines anderen Menschen positiv beeinflussen, was bewegen. Also blieb ich – denn eigentlich war der Job ja auch ganz schön.

Dann aber lernte ich die weniger schönen Seiten meines Jobs kennen: immer wieder brachen Klienten von mir ihre Maßnahmen ab oder es ploppten unvermittelt Problemlagen auf, die akut angegangen werden mussten. Die Gründe hatten Null mit mir und meiner Arbeit zu tun. Ich fühlte mich machtlos, weil meine Arbeit ein ums andere Mal über den Haufen geworfen wurde. Ich war immer wieder am Limit- doch letztlich war auch das nicht der ausschlaggebende Grund für mein Gehen.

Lichte Momente und Tacheles-Gespräche

Nachdem ein weiterer meiner Klienten die Jugendhilfe aus persönlichen Gründen abbrach, führte ich ein Tacheles-Gespräch mit einem Kollegen. Es war einer dieser lichten Momente, die man manchmal aus heiterem Himmel hat. Ein Moment, in dem man gegen die sonstige Gewohnheit schonungslos ehrlich zu sich selbst ist. Und da fiel mir der Groschen mit einem kräftigen Pardauz: es gibt keinerlei kausalen Zusammenhang zwischen der Qualität und dem Erfolg meiner Arbeit. Und damit komm ich nicht klar. Es ist nämlich so: ich kann eine super tolle, vertrauensvolle Beziehung zu einem Jugendlichen haben, ihm perfekte Bedingungen für seine Integration schaffen, ihn bestmöglich unterstützen- wenn er die Hilfe nicht umsetzen kann, wenn die Ausländerbehörde sich querstellt oder die Familie im Hintergund Strippen zieht, ist all das für die Katz. Nun kann man natürlich sagen: es ist nie alles umsonst, die Jugendlichen haben ja schon auch was gelernt und nehmen was mit- aber das ist mir zu unkonkret und zu wenig.

Wenn ich viel investiert habe, will ich mich über ein einigermaßen positives Ergebnis freuen können. Ich will selbst für den Erfolg meiner Arbeit verantwortlich und nicht einer Unzahl von unwägbaren Faktoren ausgeliefert sein, die ich überhaupt nicht beeinflussen kann. Als Bezugsbetreuerin war ich außerdem ein Hybrid aus Hausmeisterin, Lifestyle-Guru und Managerin- ich half den Jugendlichen, ihr Leben zu organisieren und sich in Deutschland zurechzufinden. Die Menge an nervigem Kleinkram, von dem man froh ist, wenn man ihn für sich selbst in seinem eigenen Leben erledigt hat (Termine mit Handwerkern! Umzüge! Stress mit den Nachbarn!), multipliziert mit der Anzahl meiner Betreuungen- sie nervte mich zunehmend.

Ich träumte davon, einfach zu kündigen und neu anzufangen

Hinzu kam, dass mir seit Kindheitstagen ein Berufswunsch im Kopf herumspukte, dem ich mich nie nachzugehen traute: Journalistin. Schreiben hatte mich immer angezogen. Ich mag es, wie die Gedanken sich dabei ordnen, wie man sofort ein Ergebnis in Form eines Textes hat. Diese Einfachheit, diese Klarheit- herrlich. Wenn mich mal wieder Zweifel überkamen, träumte ich davon, einfach zu kündigen und neu anzufangen. Doch schneller als mir lieb war, ploppten tausend feindselige „aber“ in meinem Kopf auf. Aber du hast doch Soziale Arbeit studiert. Aber das ist doch ein solider Beruf. Aber du hast doch einen unbefristeten Vertrag. Aber du bist doch schon 30. Aber, aber, aber.

Irgendwann kam dann aber doch der Punkt, an dem ich die Schnauze voll hatte. Ich schmetterte den ganzen abers ein gepflegtes: „Ihr könnt mich mal!“ entgegen und hielt diverse konspirative Sitzungen mit dem Mann mit Bart ab. Denn der ist natürlich unmittelbar von meinen Entscheidungen betroffen und musste daher umfassend eingeweiht und beteiligt werden.

Gemeinsam tüftelten wir aus, wie er aussehen könnte, mein Wechsel ins journalistische Lager. Erste Voraussetzung: SPAREN. Es war klar, dass ich mindestens 2 Praktika würde machen müssen, die bekanntlich alles andere als fürstlich bezahlt werden. Für mich eine ungewohnte und mehr als nervtötende Angelegenheit, denn ich gebe wahnsinnig gern Geld aus. Zweite Voraussetzung: Bewerbungen für Praktika schreiben. Eine ungeahnte Hürde! Ich suchte emsig und wurde hier und da auch fündig. Sobald ich aber die Anforderungen durchlas, kollabierte mein Selbstbewusstsein- und zwar gänzlich. Gefühlt konnte ich plötzlich gar nichts mehr, mein Studium schien mir zu nichts nutze, nie würden die mich nehmen…ich machte mich derart klein, dass ich bequem unter jeder Tür durchgepasst hätte- und monatelang kriegte ich keine einzige Bewerbung gebacken.

Der Schalter in meinem Kopf legte sich langsam um

Doch dann legte sich bei mir so langsam ein Schalter um. Okay, er ruckelt ein bisschen, aber er bewegte sich unaufhaltsam Richtung „ich mach das jetzt“- dazu an anderer Stelle mehr.

Jedenfalls: nach monatelanger Blockade machte es schließlich „klick“ bei mir. Ich schrieb eine Bewerbung, relativ spontan, morgens vor der Arbeit, weil ich gerade die Anzeige entdeckt hatte. Ich versprach mir nicht wirklich was davon- aber allein schon das Gefühl, endlich mal aktiv geworden und kein hasenfüßiger Herumeierer mehr zu sein, war großartig.

3 Tage später hatte ich einen Anruf aus Hamburg. Und 3 Monate später war ich dort.

Ich wünsche euch einen wunderbaren ersten Advent mit leckeren Plätzchen und muckeligem Zusammensein mit lieben Menschen!